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Das Jahresmagazin von Innosuisse 2023

Künstliche Intelligenz im Dienst der Geriatrie

Was kann künstliche Intelligenz (KI) für die Altersmedizin tun? Viel, meint Thomas Münzer, Chefarzt der Geriatrischen Klinik St. Gallen: «KI hat das Potenzial, Pflegende zu entlasten und die Autonomie älterer Menschen zu erhalten.»

Auf dieses Potenzial fokussierte das internationale Innovationsprojet DIANA, an dem die Geriatrische Klinik St. Gallen von Anfang 2020 bis Ende 2022 mitwirkte. Das Ziel: die Entwicklung eines KI-gestützten Assistenten für die Altersmedizin.

«Unsere Klinik hat wertvolle Erfahrungen mit KI gesammelt und DIANA fand Beachtung im Schweizer Gesundheitswesen.»

Thomas Münzer

Chefarzt Geriatrische Klinik St. Gallen

September 2019: Anfrage zur Mitwirkung

Als Thomas Münzer im Herbst 2019 angefragt wurde, ob er sich am Projekt beteiligen möchte, überlegte der Chefarzt nicht lange: «In der Entwicklung von medizinischen KI-Lösungen tut sich viel, aber es braucht eine Brücke vom Labor in die Praxis.» Für die Klinik war es bereits das zweite Projekt im Rahmen des EU-Programms Active and Assisted Living (AAL), das die Lebensqualität älterer Menschen durch technische Innovationen verbessern soll. Federführend war erneut Cogvis, ein Spin-Off der Technischen Universität Wien. Mit Unterstützung von Innosuisse war die Klinik schnell an Bord: «Ich war zum zweiten Mal angenehm überrascht, wie einfach es als Schweizer Organisation ist, an einem EU-Projekt teilzunehmen», sagt Münzer.

Februar 2020: Kickoff-Meeting in Wien

Im Februar 2020 kamen die Projektpartner erstmals in Wien zusammen, darunter die portugiesische Caritas, die Universidade Católica Portuguesa, das rumänische Beratungsunternehmen Bluepoint und der Schweizer IT-Distributor EET. «Wir haben zunächst die Meilensteine und unsere Rollen definiert. Meine Aufgabe war es, Vorschläge zu machen, wie man KI-gestützte 3D-Sensoren im klinischen Alltag einsetzen könnte», erzählt Münzer. Darauf machte sich das internationale Team an die Entwicklung eines Digital Intelligent Assistant for Nursing Applications – kurz DIANA. In der Folge tauschten sich die Projektpartner monatlich in Online-Meetings aus.

Mai 2021: Toilettengang im Fokus

Projektleader Cogvis hatte bereits smarte Sensorik auf dem Markt, die Alarm schlägt, wenn Patientinnen und Patienten stürzen oder das Bett verlassen. Die neue Lösung sollte die Möglichkeiten erweitern: «Unser Ziel war es, komplexere Bewegungsabläufe zu überwachen und eine Interaktion zwischen KI und Patientinnen und Patienten zu ermöglichen», erklärt Thomas Münzer. «Unterstützungsbedarf identifizierten wir vor allem beim Toilettengang. Bei Demenz wird dieser Prozess insbesondere nachts zur Herausforderung.» Deshalb legte das Team den Fokus auf ein Modul, das Betroffene beim WC-Besuch begleitet und anleitet. Die Anforderungen wurden im Mai 2021 durch Befragungen von Pflegenden erhoben.

November 2022: Pilotversuch in der Klinik

Auf die Entwicklungsphase folgte die Testphase im klinischen Alltag: Ende 2022 wurde das WC-Modul in Pilotversuchen in der Schweiz und in Portugal eingesetzt. «Dabei zeigte sich, dass es gar nicht so einfach ist, KI-Technologien an einem Spital einzuführen», stellt Thomas Münzer fest. Im Vorfeld mussten einige technische Hürden überwunden und verschiedenste ethische Fragen geklärt werden. So ist es zum Beispiel zentral, dass DIANA nicht in die Privatsphäre eingreift und anonymisierte Bilder liefert. Die ersten Tests brachten positive Erfahrungen: «Die Betroffenen begegneten der Lösung erstaunlich offen und unsere Pflegenden lieferten gute Inputs für die Weiterentwicklung», so Münzer.

«In der Entwicklung von medizinischen KI-Lösungen tut sich viel, aber es braucht eine Brücke vom Labor in die Praxis.»

Januar 2023: Pläne für neue Anwendungen

Nach drei Jahren waren die Projektziele erreicht: Der Proof of Concept war erbracht und die Lösung auf dem Markt. Thomas Münzer zieht ein positives Fazit: «Unsere Klinik hat wertvolle Erfahrungen mit KI gesammelt und DIANA fand Beachtung im Schweizer Gesundheitswesen.» Als sich das Team im Januar 2023 zum Projektabschluss in Wien traf, schmiedeten die Partner bereits Pläne für die Weiterentwicklung. Ein Schwerpunkt liegt auf der intelligenten Analyse von Bewegungsmustern. Darin sieht der Chefarzt eine Chance für die Geriatrie: «Ein KI-basiertes Frühwarnsystem könnte Veränderungen erkennen, bevor sie uns auffallen.»

Zum Programm Active and Assisted Living (AAL)

AAL war eine thematische Innovationspartnerschaft des EU-Rahmenprogramms Horizon 2020. Auch wenn die Schweiz beim aktuellen Rahmenprogramm für Forschung und Innovation Horizon Europe als nicht assoziiertes Drittland gilt, können innovative Schweizer Unternehmen, Endnutzer- und zivilgesellschaftliche Organisation sowie Hochschulen weiterhin an thematischen EU-Partnerschaften teilnehmen. Für die internationale Partnersuche steht Ihnen das Entreprise Europe Network – Switzerland zur Verfügung.